WIE VERMENSCHLICHT DARF DIE BINDUNG ZUM PFERD SEIN?
Es sind so viele Jahre vergangen, doch diese Aussage habe ich nie vergessen. Die Frau, eine Mutter von zwei Kindern, die mir mein erstes Pferd abkaufte, sagte damals, Pferde sind wie Kinder, die nie erwachsen werden.
Ich fand die Aussage bzgl. Verantwortung zwar richtig, doch ansonsten irgendwie befremdlich. Ich hatte mein damaliges Pferd nie wie ein Kind, Kindersatz oder menschenähnliches Familienmitglied gesehen. Es war mein Pferd, mein Sportpartner, mein Gefährte und mein tierischer Freund – den ich verkaufte und es bis heute bereue. Meine Oma sagte oft, verkauf den Gaul doch. Sie hatte früher Pferde für den Ackerbau. Am Reitsport hatte sie kein Interesse. Entscheidet die Nutzung des Pferdes über den Grad der emotionalen Bindung? Darf man den Freund verkaufen?
Es war das Jahr 2009 und manchmal hab ich den Eindruck die Reiterwelt ist seitdem eine andere geworden. Ich hatte nach dem Verkauf meines Pferdes eine Reitpause von fünf Jahren und beschäftigte mich fast gar nicht mehr mit Pferden. Als ich wieder einstieg war plötzlich so vieles anders. Die Vielfalt an Pferdeequipment war explodiert, die Ausrüstung technisch ausgefeilter, das Pferdefutter wurde zur Wissenschaft und Qual der Wahl, Pferdemode spielte auf einmal eine große Rolle und es gab eine Pferdecommunity im Internet, die ihren Stallalltag online präsentierte.
Ich empfand die unbekümmerte Leichtigkeit, die kindlich naive Herangehensweise war weg. Man schaute genauer hin, zerlegte jedes Detail, kritisierte und verurteilte schneller. Das ist in den darauffolgenden Jahren noch schlimmer geworden. Ewige Diskussionen, Einmischungen und anderen etwas vorschreiben wollen, nur weil die eigene Meinung anders ist.Es ist alles im Pferdebereich so hoch emotional. Überemotional? Leider zu oft negativ.
Ein Pferd als Pferd annehmen zu können, als Tier und damit als Nicht-Mensch zu sehen, wird irgendwie durch den Vergleich mit menschlichen Verbindungen erschwert. Mein Freund verglich meine Schabracken und Pferdeoutfits mit den Klamotten einer Anziehpuppe. Dabei hätte ich moralisch null Bedenken ein Pferd vor den Pflug einzuspannen, damit es mir hilft den Acker umzupflügen oder vor die Kutsche, um von A nach B zu kommen. Es wäre damit genauso ein Nutztier wie es eins als Reitpferd ist. Wir tun so vieles mit dem Pferd nicht mehr, weil wir einen leblosen technischen Ersatz dafür gefunden haben.
Ist es denn so schlimm, ein Pferd für etwas zu benutzen? Erfüllen Menschen nicht auch irgendwie einen Zweck? Für manch einen Mensch dient ein anderer Mensch als ein Stück Fleisch zur sexuellen Befriedigung. Sie zahlen sogar Geld für die Art von „Reitstunde“.
An welcher Stelle kommt nun das Bedürfnis, die Notwendigkeit oder die Frage auf, ein Pferd mit einem Menschen zu vergleichen? Verlangt das die Gesellschaft mit öffentlichem Druck, die den moralischen Finger des Tierschutzes erhebt, damit das Pferd unter artgerechteren Bedingungen lebt? Sagt sie, wir müssen das Pferd emotionalisieren und vermenschlichen damit wir ihm gegenüber fairer sind? Hilft das?
Was sind wir Menschen füreinander? Ist man im Berufsleben nicht ebenso nur ein kleiner Arbeitssklave, der die Lebenszeit gegen Geld verkauft? Als ob es da immer nur fair zuginge?! Prostituieren sich Pferde für Hafer und getrocknetes Gras?
Haben Menschen zu früheren Zeiten ihr Nutzpferd, egal ob vor dem Pflug oder unterm Sattel, auch schon mit einem Kind verglichen oder kam dieser Gedanke nicht auf? Die Aussage ein Pferd gehört zur Familie, ist die Frage wie man den Familienbegriff definiert. Man lebt mit einem Pferd in der Regel nicht so eng wie bspw. mit einem Hund zusammen, es lebt nicht mit uns in der Wohnung. Wird man dem Pferd gerechter, wenn man sagt es gehört zum Besitz, zum Hausstand, in den Kreis der Lebewesen, mit denen man seine Zeit verbringt ohne es auf die gleiche Stufe wie einen Menschen zu stellen? Ist es der Zeitgeist, der von uns fordert diese Spezieshierarchie zu überdenken und alles nebeneinander zu stellen? Geht damit nicht eine Abwertung von Menschen einher?
Ist es treffend zu sagen, dass ein Pferd nur deswegen den Vergleich mit menschlichen Beziehungen antritt, wenn da ein Mangel, eine Lücke, ein Bedürfnis gestillt werden muss? Ein Mangel an Emotionen im menschlichen Bereich? Positiven, erfüllenden Gefühlen. Implizieren wir in das Pferd etwas hinein, weil es uns beim Menschen fehlt?
Ich empfinde inzwischen eine Lücke und denke je älter ich werde, dass so manches anders hätte sein können, vielleicht wenn ich damals im Jahr 2009 so gedacht hätte wie ich heute denke. Für mich kann diese Lücke kein Pferd füllen, es ist ein menschliches Bedürfnis welches nur von Menschen wirklich erfüllt werden kann. Als Kind würde ich die umgekehrte Aussage, man sei wie ein Pferd für die Mutter, als schmerzhafte emotionale Kälte empfinden…