Meine erste Schleppjagd

ALS LAIENHAFTER ZUSCHAUER

Irgendwie ist meine Existenz durch eine Reitjagd verursacht oder zumindest angebahnt worden. Wieso steht in meiner Reiter-Intro. Ist es daher nicht schade, dass ich selbst bisher noch nie eine Reitjagd mitgeritten bin? In meiner Jugend hatte ich leider nicht die Gelegenheit dazu, es gab meiner Erinnerung nach kaum Jagden dort wo ich aufgewachsen bin und ich kannte niemanden, der bei welchen mitgeritten ist. 

Mit meinem früheren Pferd wäre eine Teilnahme sicherlich möglich gewesen, zumindest im nicht-springenden Feld, denn mit ihm ritt ich früher stundenlang aus und er hatte genügend Power bei sowas mitzumachen. Mit meinem jetzigen Pferd bin ich mir leider aus verschiedenen Gründen nicht so sicher, ob das klappen könnte.

Nichtsdestotrotz kann man sich ja mal umsehen, informieren was es so gibt und wie das Ganze tatsächlich abläuft. Hier in der Gegend bzw. in diesem Bundesland gibt es viel öfters Jagden und zufällig habe ich im Netz eine gefunden, die ganz in der Nähe stattgefunden hat. Also, einfach mal hingefahren und angeschaut.

IMG_1883_1Es war ein kühler nebeliger Sonntagmorgen und die Reiter trafen sich zum Stelldichein auf dem großen Springplatz der ausrichtenden Reitanlage. Mehr als hundert Leute standen herum bzw. hatten schon auf Traktor-Anhängern Platz genommen. Es kamen immer mehr Pferde dazu und die Reiter ritten im Schritt über den Platz, so dass man sich alle Teilnehmer in Ruhe ansehen konnte.
Manche ritten in normaler Turnierkleidung und viele hatten einen ganz eigenen Jagdreiterdress an. Genau hierbei sah man Reiter in den senfgelben Reithosen, die sonst kein Mensch trägt. Einige Jagdreiter hatten viele Abzeichen an der Reitjacke und wirkten so, als ob sie schon seit 50 Jahren dabei sind, was bei manchen bestimmt der Fall ist. Der Altersdurchschnitt war bei weitem höher als was man sonst so auf Turnieren sieht. Schicke Schabracken und Glitzer wären hier völlig fehl am Platz gewesen. Im Gegenteil, man sah selbstsicher wirkende Reiter, die auf modischen Firlefanz keinen Wert legten, Tradition und gediegener Stil war angesagt. Ganz typische Jagdreiter eben.

Nach einer Weile kam auch die Equipage, also die Jagdbläser und die Hunde mit den zugehörigen Reitern dazu, das führte bei manch einem Pferd zu einer inneren Aufregung. Wer weiß, vielleicht sind ja doch ein paar Neulinge dabei oder eben mit neuen Pferden. Mein Pferd hat leider Angst vor Hunden und ich befürchte, er wäre auch einer der Kandidaten, die erstmal durchdrehen. Der Vorteil einer großen Gruppe ist natürlich, dass sich die Pferde gut an anderen orientieren und den meisten die Hunde völlig egal waren, bald stellte sich wieder Ruhe ein. Die meiste Zeit blieben die Hunde eh dem Feld voraus oder waren eingekreist von den Reitern, zu denen die Meute gehörte.

IMG_1907_1Die Jagdhornbläser spielten vor dem Abritt nochmals auf, es gab eine kurze Ansprache und dann ging es los. Nur wohin? Im Gegensatz zu einem Geländespringen gab es keinen Plan, jedenfalls nicht vorher im Netz und auch hier vor Ort nicht. Ich sprach ein paar umstehende Leute an, ob sie wüssten wo es lang geht. Nö, man könnte auf den Anhängern mitfahren, die begleiten die Jagd entlang der Strecke. Ja nun, die waren zum Großteil schon besetzt und mir wurde gesagt, man muss sich dafür auch vorher anmelden und eine Mitfahrgebühr zahlen. Ok, wieder etwas dazu gelernt, im Internet hatte ich nichts dazu gefunden und vorher beim Veranstalter angerufen hatte ich auch nicht. Also fragte ich mich durch, ob man irgendwo zuschauen kann. Wieder jemand anderes meinte, man könnte ein paar Hindernisse sehen, wenn die Reiter zurück kommen. Wann wäre das? Oh, in vier Stunden. Solange wollte ich nicht in der Kälte rumstehen. Erstens hatte ich mich dafür nicht warm genug angezogen und dummerweise nur dünne Turnschuhe an. Was war ich schlecht vorbereitet!
Die vierte Person, die ich ansprach hatte dann endlich ein wenig mehr Infos und konnte ein paar Fragen zur Organisation beantworten. Ich bekam den Tipp zu einem Zwischenhalt zu fahren, einfach mit dem eigenen Auto. Google spuckte mir leider nicht aus wo die Mehrzweckhalle im nächsten Dörfchen sein soll. Ich fragte wieder jemanden. Man merkte schon, die Klappe muss man aufmachen, sonst kommt man nirgendwo hin. Von gelegentlichen Radtouren wußte ich wo ich ungefähr hin musste und kurz nach dem Eintreffen kamen schon die Reiter zu einem kurzen Zwischenhalt an. Es gab erstmal nen Kurzen für die Reiter und schon ging es weiter. Ich schloss mich ab diesem Moment einfach der Kolonne an, bestehend aus mehreren Traktoren mit Anhängern, Geländewagen, einem Krankenwagen und ein paar ‘normalen’ Autos wie ich eins habe. Ich hoffte sehr, dass es bitte nirgendwo zu matschig wird!

IMG_1970_1Aus dem Auto heraus sah man in der Ferne die Jagdreiter und die Kolonne hielt plötzlich mitten auf dem Weg, ich tat es ihnen gleich und stieg aus. Schon kamen die zuerst die Hunde und dann die Reiter näher und hinter einem Hügel sah ich ein Hindernis, über das die erste Hälfte drüber sprang, die hintere Hälfte, das nicht-springende Feld, ritt nebenan vorbei.

IMG_1959_1Auf ein mal gab es Rufe und eine Reiterin galoppierte auf den Krankenwagen zu. Oh nein, es war leider zu einem Sturz gekommen! Wie ich später erfuhr, war eine über 70-jährige Reiterin von einem Ast zu Boden gerissen worden, weil ihr Pferd das Hindernis verweigerte. Ein Zuschauerin erzählte mir, solche Unfälle kommen vor, allerdings wären sie selten. Sie selbst hatte leider schon mal einige Knochenbrüche erlitten und ist dann 20 Jahre lang keine Jagd mehr mitgeritten.

Okay, mein Respekt vor der ganzen Sache wuchs. Genau genommen wuchs er je länger ich der Kolonne folgte und mir klar wurde, wie lang die Strecke wirklich war. Eine junge Frau von der Reitsportanlage sagte, die Strecke ist 23 km lang und hat 16 Sprünge.
Die nächste Station sollte nach der Sturzunterbrechung eine Mühle sein. Mein Navi spuckte mir brav die Adresse aus, doch die Kolonne bog auf einen gesperrten matschigen Feldweg ab. Ich folgte weiterhin, egal mein Auto war eh schon dreckig wie die Wutz.
Wir erreichten den nächsten Zwischenhalt, der die längste Pause war. Viele Reiter saßen ab, ein paar wenige deckten ihre Pferde ein, denn es war sehr frisch, der Nebel hatte sich noch nicht verzogen. Eigentlich ein Jagdwetter wie aus dem Bilderbuch. Es gab heiße Würstchen, Getränke und viel Geplauder. Ich glaube, einige kennen sich schon ewig, es wirkte ein wenig wie eine eingeschworene Gemeinschaft. Eine Frau sagte, sie reiten eigentlich jedes Jahr die gleiche Strecke. Dann braucht man logischerweise auch keinen Streckenplan mehr.

IMG_1989_1Es wurde ein wenig Pferdemarkt betrieben und darüber gefachsimpelt, dass man ein ‘schlechtes’ Springpferd ja immer noch zum Jagdpferd ausbilden könne, nur günstig muss es sein. Eins der Pferde landete dann im Hänger, weil es ein Eisen verloren hatte, damit blieben 39 Pferde im Feld. Die Pferde waren jetzt schon total am schwitzen, da die wenigsten geschoren waren, wenn dann nur eine kleine Teilschur. Die Atmung war bei den meisten aber schnell wieder normal geworden und manch ein Pferd knickte entspannt in der Hüfte ein und döste ein wenig, andere schnappten nach Gras oder wurden von Zweitreitern spazieren geführt bzw. geritten. Die Pferde waren zum Großteil Warmblüter, mindestens zwei reine Vollblüter waren dabei und zwei eher schwere Warmblüter. Selbstverständlich hatten sie einen Spring- oder Vielseitigkeitssattel drauf, manche hatten an allen Beinen Gamaschen, andere nur vorne. Es gab einige Pferde mit Springkandare, Pelham oder Pessoatrense. Gebißlose Zäumung hab ich nicht gesehen. Reitet damit jemand Jagden?

Nach der langen Pause, wobei sie vielleicht ne gute halbe Stunde gedauert hatte, war erst die Hälfte der Strecke geschafft. Meine Neugierde, wo es als nächstes hingeht, war weiterhin vorhanden, denn ich entdeckte entlang der Wege neue Pferdehöfe, die ich bisher nicht kannte und wann kann man schon mal mit dem Auto durch die Felder fahren?
Auf der folgenden Strecke lagen weitere Sprünge, einer davon war ein richtiger Tiefsprung denn es ging erst einen steilen Hügel hinunter, bevor die Reiter über einen einzelnen festen Balken sprangen. Ich fragte mich, ob die Pferde Stollen drin hatten. In den später gesehenen Hufspuren sah das nicht so aus. Es wäre auch recht unpraktisch, denn manche Wege waren asphaltiert.

IMG_2049_1Die Kolonne machte auf dem Rückweg dreimal Halt, entsprechend der einzelnen Schleppen, die letzte Schleppe vor dem Halali war besonders idyllisch in einem kleinen Tal gelegen, in dem man eine super Aussicht auf das galoppierende Feld hatte. Ein anwesender Fotograf konnte sicherlich einige schöne Aufnahmen von der Jagdgesellschaft machen, die es sich mit Bier in der Hand gut gehen ließ. Ja, wäre ich auf einem der Anhänger mitgefahren, dann hätte ich mich bestimmt nicht ans Sprudel trinken gehalten wie an diesem Tag.

In dieser Pause konnte ich mir die Hunde mal ein wenig näher ansehen. Die meisten blieben brav zusammen, nur drei rannten immer wieder weg, weil Zuschauer eigene Hunde mitgebracht hatten und diese beschnüffelt werden mussten. Die Ungehorsamen wurden dann zurecht gewiesen und gruppierten sich dann doch brav in die Meute ein.

IMG_2013_1Endlich kam dann am Nachmittag, es war schon nach 15 Uhr so langsam die Sonne raus und es wurde wärmer. Am Ende der Jagd wurde das Halali geblasen sowie ausgerufen. Auch davor wurden mehrfach laute Horrido-Rufe ausgerufen und die Jagdhornbläser spielten unterschiedliche Melodien, die wohl alle etwas bedeuten. Eine Frau sagte mir, es gäbe auch Töne für den Sturz eines Reiters. Jemand, der die Töne bzw. den Signalton kennt, bekommt damit die Nachricht darüber schnell übermittelt und kann das Feld entsprechend zum Halten beeinflussen. Allerdings steckten die Jagdhornbläser während des Rittes in einem der Anhänger fest und bekamen gar nicht mit, was im Feld passierte. Ich weiß also nicht, ob die gespielten Melodien wirklich das Jagdgeschehen untermalten oder ob es einfach nur als traditionelle unterhaltsame Musik galt. Beim Halali spielten sie allerdings eine Melodie bzw. es heißt Halali, das hatte ich schon zuvor gehört und wer vielleicht schon mal auf einer Jagd dabei war oder im Fernsehen gesehen hat, erkennt die Melodie.

IMG_2074_1Am Ende der Jagd, nach dem Halali gab es ein Lagerfeuer, die Hunde zerrten an der Curée und die Reiter bekamen ihren gebrochenen Eichenzweig. Ringsum Erleichterung und viele glückliche müde Gesichter. Die Pferde wurden versorgt und danach gab es ein feucht fröhliches Zusammensein, bei dem ich nicht mehr dabei war, sondern in den Stall zu meinem Pferd fuhr und ganz alleine über die Felder galoppierte, denn in meinem Stall wollte keiner ausreiten. Wie schade!

Jetzt, nachdem ich endlich mal bei so einer Jagd zugesehen hatte, kommen in mir ehrlich gesagt Zweifel auf, ob ich so ‘einfach’ mal mitreiten könnte. Ich bin inzwischen mit fortgeschrittenem Alter froh, wenn ich wieder sicher nach Hause komme und mein Pferd sich im Galopp schön regulieren läßt, ich glaube im Jagdfeld hätte ich da keine Chance. Andererseits, ich weiß es nicht, er ist meistens ja ziemlich brav, nur oft ängstlich und traut sich manche Wege nicht lang, weil irgendwo etwas gruseliges ist oder ein dunkler Fleck am Boden ihn droht aufzufressen. Mein erstes Pferd war in der Hinsicht einfach cooler, obwohl er eigentlich im Galopp ganz schön abgegangen ist und in den vielen Jahre auch einige Male durchgegangen ist, das ist mein jetziges Pferd noch nie.

IMG_1945_1Vielleicht gibt es irgendwo auch Einsteigerjagden? Also so die Mischung aus Spazierritt und halber Anforderung von der gesehenen Schleppjagd. Das müsste man dann paarmal trainieren. Vor allem auch die Kondition von Pferd und Reiter (!), denn diese Schleppjagd war alles andere als ein beschaulicher gemütlicher Gruppenausritt! Jedenfalls nicht aus der Freizeitreiter-Zuschauerposition, wer weiß vielleicht denkt der erfahrene Jagdreiter darüber anders, wenn man seit Jahrzehnten im roten Rock reitet?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert